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Preisfrage: Was macht den Meister? Na klar!! Übung!!!

Deshalb wollte ich ihn auch partout nicht machen. 

„Ein Meisterbrief ist nichts als teuere Tapete,“ erklärte ich allen, die es hören wollten oder nicht, vorzugsweise anderen Meistern. „Die Hierarchien im Handwerk sind steinzeitlich und überhaupt interessiert es niemanden einen Holznagel, ob der Schuh jetzt von einem Meister oder Lehrling wieder besohlt wird.“

„Am Besten, du nähst den Schaft für dein Meisterstück zehn mal,“ riet mir mein guter Freund Werner, selbst Schuhmachermeister mit tauben Ohren. „Damit du ihn in der Prüfung ohne Nachdenken aus den Fingern schütteln kannst. Und mach’s nicht zu kompliziert.“

Nein, was mir vorschwebte, war denkbar einfach: ein einziges Stück Leder, das sich spiralförmig um den Fuß wickelt und mit einer Schnalle unter dem Außenknöchel festgehalten wird, das Ganze mit nur einer einzigen Naht zusammengehalten. Ich verbrachte viel Zeit damit die Schnalle zu entwerfen und dem Goldschmiedemeister Erhard Kreklow von meiner sagenhaften Idee zu überzeugen.

„Das wird kompliziert.“ Herr Ernst, der auf der Meisterschule in Frankfurt das zweifelhafte Vergnügen hatte, acht grobmotorische Schuster in die Kunst des Schaftmachens einzuweihen, hatte seine Zweifel. „Wie willst du denn das Futter einsetzen?“

„Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht,“erklärte ich ihm. „Aber die Schnallen werden toll.“

Kurze Zeit darauf hatte ich es sogar geschafft, meiner guten Freundin Katrin, ihres Zeichens Schaftmacherin, einen ordentlichen Knoten ins Hirn zu wickeln. „Wenn wir das einmal ausgetüftelt haben, wird es ganz einfach sein,“ prophezeite sie mir und drehte die Lasche auf dem Konstruktionspapier hin und her. „Dann musst du es nur noch ein paar mal üben!“

„Na prima,“ dachte ich. Eigentlich war ich ja davon überzeugt gewesen, dass sich die Schäfte fast von alleine machen würden. Zum Glück war unser Lehrer im Leistenbau von der verträglichen Sorte. „Wenn ich jemanden mit dem Maßband erwische, nehme ich es ihm sofort wieder weg!“ erklärte er uns verdutzten Zauberlehrlingen. Jeder bekam einen Leistenrohling, der zwei Zentimeter zu breit und vier Zentimeter zu lang war. „Das Einzige was zählt, ist Augenmaß! Ich will, dass eure Leisten geil aussehen! Und symmetrisch! Und anliegen wie eine zweite Haut! In einer halben Stunde!“

Wir brauchten ausnahmslos einen ganzes Wochenende, um unsere Leisten zu schleifen und Herr Dohn, der eine tierische Freude daran hatte, uns das Leistenschleifen einzutrichtern, schickte uns mit der warmen Empfehlung,  jeden Tag nach Ladenschluss noch ein Paar Leisten zu Schleifen, wieder nach Hause.

So ging es fast ein ganzes Jahr lang. Jedes zweite Wochenende düste ich nach Frankfurt, während der gute Markus in Staufen den Laden am Laufen hielt, mit meiner als Engel kostümierten Mutter den Weihnachtsmarkt rockte und die Praktikanten anstiftete. Fast ein ganzes Jahr zog ich jeden zweiten Freitag auf der Suche nach dem perfekten Döner Kebap mit Sebastian, Dominik und Simon durch das Frankfurter Bahnhofsviertel, wobei wir vehement diskutierten, ob unsere Dozenten jetzt eine Ahnung hätten oder nicht. Zumindest ihren Kneipenempfehlungen folgten wir brav wie Lämmchen.

Um dann völlig unvermittelt festzustellen: die Prüfung stand vor der Tür! Ich hatte zehn Schäfte genäht und acht Leisten geschliffen und wollte das vor der Prüfung gerne nochmal wiederholen. Erhardt hatte die Schnallen fertig und das Leder – dunkelblaues Boxcalf- war auch rechtzeitig geliefert. „Auf dem Weg zu deinem Ziel, investiertest du sehr viel“ reimten Markus und Tania, meine Praktikantin. „Für den letzten Schritt deiner Etappe, pack ich deine Meistermappe mit ganz viel Glück und Schwein.“

Ich war gerührt. Und packte meine halbe Werkstatt in meinen klapprigen alten Alukoffer. Auch wenn er schon lange nicht mehr zugeht- seine Räder sind unzerstörbar und gaben auch nicht auf, als ich ihn über Staufens alte Pflastersteine zum Bahnhof schleppte. Am Frankfurter Bahnhof erwartete mich Dominik mit einem warmen Berliner, den ich auf dem Weg zur Meisterschule gegen den Koffer eintauschte. Ich litt schrecklich mit ihm mit, während ich den Berliner verspeiste und zusah, wie er am wärmsten Tag des Jahres sein T-Shirt um den Koffergriff wickelte, damit er ihm nicht so sehr in die Hand schnitt. Dann liefen wir wieder zurück zum Bahnhof, holten einen warmen Berliner und den Simon ab. Der hatte seine ganze Werkstatt in zwei Koffer verfrachtet.  „Stellt euch vor, an dem einen Koffer sind die Räder kaputt,“ erklärte er das Offensichtliche. „Aber zum Glück ist das der von meiner Freundin.“ Dominik und ich nickten mitfühlend und beobachteten, wie er seine Koffer schleppte und gleichzeitig seinen Berliner aß. Sebastian hatte sogar drei Koffer…

 

Darauf folgte die wohl anstrengendste Woche in meinem Leben und- Wunder, oh Wunder- sie ließen mich bestehen! Gerade letzte Woche kam die Einladung zur Verleihung der Meisterbriefe im Januar. Dann werde ich wieder nach Frankfurt düsen… mit meinen Jungs die beste Dönerbude Frankfurts besuchen und die schlimmen alten Zeiten hochleben lassen…